18. August 2017

"Du zerstörst ja die deutsche Wirtschaft."

Vor fast einem Jahr fiel in einem Gespräch mit Freunden, denen ich von meinem Konsumverzicht erzählt habe, die Bemerkung: „Damit zerstörst Du ja die deutsche Wirtschaft“.

Das lässt mich seitdem nicht los, und heute finde ich endlich die Worte, um mich mal mit dieser Aussage auseinanderzusetzen. Die Bemerkung war damals überhaupt nicht böse gemeint, meine Freundin hat einfach nur ausgesprochen, was ihr als BWLerin in Bezug auf mein Projekt als Erstes durch den Kopf gegangen ist.

Wachgerufen wurde dieser Gedanke wieder, als ich mich mit Kai von WOGGON unterhalten habe, der als Einzelhändler natürlich ein großes Interesse daran hat, dass die Leute bei ihm einkaufen und nicht zu den Second-Hand-Läden rennen (wobei wir uns beide einig waren, dass Second-Hand-Läden nicht das große Problem sind, sondern die Einheitsbreiläden wie H&M, Zara, New Yorker usw.).

Jede Kaufentscheidung ist ein Wahlzettel.

Kaufe ich bei konventionellen Ketten, stimme ich für fast fashion. Kaufe ich bei kleinen (oder größeren) Labels, die sich für nachhaltige und faire Produktionsbedingungen einsetzen, stimme ich für deren Konzept. Mit meinem Kauf gebe ich den Läden zu verstehen. "Ich finde das, was Ihr macht, wie Ihr produziert, wie Ihr Eure Waren ggf. verpackt super, macht weiter so und produziert mehr davon." Ich kreiere also eine Nachfrage. Jeder einzelne Euro ist Einkaufsmacht - eine von VerbraucherInnen noch immer viel zu selten entfesselte und von Unternehmen auch häufig in Frage gestellte Kraft.
(Aus diesem Grunde gibt es seit einigen Jahren [immer am 24. November] den „Kauf-nix-Tag“: Die Aktion ruft zu einem 24-stündigen freiwilligen Konsumverzicht auf. Sie gehört zu den ersten und bedeutsamsten Kampagnen, um Wirtschaft und Unternehmen mit der Macht des Verbrauchers zu konfrontieren.)

Bin ich also, wenn ich gar nichts kaufe, eine Nichtwählerin? 

Jein. Ich entziehe mich ja nicht still und leise jeglichem Konsum (nach dem Motto "Ich geh nicht wählen, um's 'denen da oben' zu zeigen"), sondern ich schreibe, rede, diskutiere, halte Vorträge über dieses Thema. Ich schreibe immer wieder Mails an Unternehmen (sowohl aus dem fast-fashion-Bereich, um nachzuhaken und zu kritisieren, als auch an Unternehmen, die nachhaltige Ansätze haben, z.B. um mich über Projekte zu informieren, die Arbeit zu loben etc.). Das ist meine Art von Wahlkampf.
Rein theoretisch kaufe ich sogar seit Januar wieder neue Sachen. In der Praxis ist das allerdings noch nicht häufig vorgekommen. Ich brauche einfach nichts, sorry, deutsche Wirtschaft. Und insbesondere sorry an die ganzen tollen fair-fashon-Labels, die in den letzten Jahren grandiose Arbeit geleistet haben. Ich würde Euch so gerne unterstützen (und habe das bereits in zahlreichen Crowdfunding-Aktionen getan - aktuell freue ich mich wie bolle, dass die Mädels von Kluntje mit ihrem Crowdfundingprojekt erfolgreich waren und demnächst eine eigene Produktionsstätte in Berlin eröffnen können!). Aber - wie gesagt - ich brauche keine neuen Klamotten.

Und ich möchte keine Nachfrage kreieren. Denn egal ob fair- oder fast fashion: Mit jedem neu produzierten Kleidungsstück belasten wir die Umwelt. Um mal wieder Shia zu zitieren: "Es gibt wirklich genug Zeugs und Krams, man müsste es nur umverteilen statt andauernd die ohnehin knappen Ressourcen für die Produktion von Neuware anzuzapfen." Aber klar, daran verdienen die großen Unternehmen nicht, und deswegen bringen sie fleißig neue Kollektionen in die Geschäfte und lassen uns durch Hochglanzmagazine und peppige Werbespots wissen, was wir tragen sollten und was "so 2016" - ergo in diesem Jahr absolut nicht mehr tragbar - ist.

Noch eine Sache, die in meinen Augen viel zerstörerischer ist als das gebraucht-Kaufen: Onlineshopping. Immer wieder höre ich, wie sich Leute darüber beschweren, dass alle Innenstädte gleich aussehen, dass die kleinen Buchläden aussterben und es kaum noch unabhängige Modeläden gibt. Und dann bestellen die gleichen Leute kartonweise Bücher bei Amazon ("kostet ja keinen Versand") und Röcke im Onlineshop von H&M ("draußen regnets", "ich brauch' noch eben schnell..."). Den großen (Mode-)Konzernen ist doch völlig egal, woher sie ihr Geld bekommen, also können die KundInnen ruhig fleißig online bestellen. Dann wird eben dadurch die Miete der Prestige-Innenstadtläden bezahlt. Für kleinere Einzelhändler wie Kai geht das natürlich nicht auf.

Um noch einmal auf die Eingangssituation zurückzukommen:

Brauchen wir denn wirklich unendliches Wirtschaftswachstum? 

Kann es überhaupt unendliches Wirtschaftswachstum geben? Die Ressourcen sind begrenzt, das ist nicht länger zu leugnen, und auch der Markt ist zu großen Teilen schon gedeckt. Nur durch (sogenannte) "Trends" werden wir als Verbraucher zum Kaufen animiert. Es entwickelt sich ein Wettbewerb um Statussymbole bzw. darum, immer das Neuste (Gerät, Outfit, ...) besitzen zu müssen. Und wir dummen, dummen Menschen machen diesen ganzen Zirkus mit.
Leute, lasst Euch nicht verarschen! Schaltet Euren Kopf ein, schaut in Eure Kleiderschränke, schaut die vielen tollen Teile an, die Ihr schon besitzt! Erkennt den Unterschied zwischen Nötigem und Überflüssigem. Schaltet Euren Kopf ein, wenn es (aus welchen Gründen auch immer) doch mal was Neues sein muss. Wählt wohlüberlegt.
Im Studium Oecologicum habe ich mich (zunächst nur oberflächlich, inzwischen aber sehr intensiv) mit Nico Paech und seiner "Postwachstumsökonomie" auseinandergesetzt (Leseempfehlung: Nico Paech - Befreiung vom Überfluss). Seine Forderung: Weg vom Konsum, hin zu einem Lebensstil, der nicht die Umwelt und damit unsere Lebensgrundlagen plündert. Wir sollten nicht länger auf weiteres Wirtschaftswachstum setzen, um die natürlichen Ressourcen zu schonen. Als Mittel dazu kommen unter anderem der Selbstanbau von Obst und Gemüse sowie die Reparatur und das Teilen von Gegenständen infrage. Paech ist damit Vordenker der sog. "Sharing-Economy" und der Do-It-Yourself-Bewegung.

Wie denkt Ihr darüber? Lesen hier BWLerInnen (VWLerInnen, ÖkonomInnen..) mit, die mir plausibel erklären können, warum es nach wie vor heißt, Wirtschaftswachstum sei soooo wichtig? Oder hat sich schonmal jemand intensiver mit  Nico Paech auseinandergesetzt?

6 Kommentare:

  1. Hallo Anna,

    vielen Dank für den tollen Beitrag. Das ist ein Thema mit dem ich mich momentan auch viel beschäftige. Vor einem Jahr habe ich beschlossen, nur noch gebrauchtes zu kaufen (was mir in der Regel, aber leider nicht immer gelingt). Gerade bei Klamotten bin ich aber immer im Konflikt, ob es nicht besser wäre, bei fairen, kleinen Unternehmen zu kaufen, um sie zu fördern. Ich hadere da selber sehr mit mir. Man muss dazu allerdings auch sagen, dass ich mittlerweile eh sehr wenig kaufe, so dass mein Beitrag (oder Nicht-Beitrag) vielleicht gar nicht so viel ausmacht. Ich weiß es nicht.

    Eine weitere Buchempfehlung zu dem Thema ist übrigens Tim Jackson - Wohlstand ohne Wachstum. Ich habe es zwar noch nicht gelesen, war aber bei seiner Buchvorstellung in Berlin und fand's richtig spannend!

    Sonnige Grüße,
    Julia

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hi Julia,
      von dem Buch hatte ich noch nichts gehört, klingt aber sehr spannend, danke für die Empfehlung!
      Das Gefühl, dass das eigene Handeln nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, kenne ich nur zu gut. Aber alles andere würde sich (für mich) falsch anfühlen, und deshalb bleibe ich dabei und hoffe, dass es am Ende doch irgendwie was ausmacht.
      Schönen Abend noch!
      Anna

      Löschen
  2. Hey Anna,

    dieses Argument ist mir auch schon häufiger über den Weg gelaufen, wenn ich mich mit anderen über Nachhaltigkeit unterhalten habe (vor allem von BWLern natürlich). So wirklich erklären konnte mir die Bedeutsamkeit des Wachstums tatsächlich auch niemand, aber Abbau von Arbeitsplätzen scheint wohl eine der Befürchtungen zu sein - wobei man ja für Reparaturen auch Menschen braucht... wahrscheinlich sogar noch mehr als für Neuproduktionen.
    Niko Paech hat einmal an unserer Uni einen Vortrag gehalten, was sehr spannend und inspirierend war! Letztendlich denke ich, dass vielleicht nicht der einzige, aber doch zumindest der einfachste Weg zu einer nachhaltigeren Welt Konsumverzicht und Produktionsreduzierung sind. Mittel- bis langfristig kann ich mir auch durchaus vorstellen, ein paar Stunden weniger zu arbeiten und die gewonnene Zeit darin zu investieren, Dinge selbst zu machen und dadurch wiederum Geld zu sparen - eine der Ideen von Niko Paech. Sein Buch habe ich noch nicht gelesen, irgendwie ist das immer wieder in Vergessenheit geraten... hast du es zufällig? =)

    Liebe Grüße!

    AntwortenLöschen
  3. Hey Charlotte,
    dieses Argument mit dem Abbau von Arbeitsplätzen finde ich immer so lächerlich, weil ja der Großteil der Arbeit gar nicht in Deutschland stattfindet. Da sollte man dann doch lieber wieder zur Produktion innerhalb der BRD zurückgehen!? Oder eben - wie Du schon schriebst - Arbeitsplätze in neuen Nischen (z.B. in Reparaturwerkstätten) schaffen.
    Wie cool, dass Du ihn mal live gesehen hast. Das Buch habe ich mir in der SUB ausgeliehen, deshalb besitze ich es nicht selbst.
    Grüße!

    AntwortenLöschen
  4. Den Hinweis mit dem "Nix Kaufen Tag" finde ich richtig gut, das sollte man in Deutschland mal bekannter machen. Selbst wenn ich sich (vor allem am Black Friday) nur wenige dran halten werden, sorgt es vielleicht wenigstens dafür, dass die Leute ein bisschen mehr darüber nachdenken.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, ich find's auch voll schade, dass der Kauf-Nix-Tag so wenig Resonanz bekommt. Der ist ja witzigerweise genau diese Woche (am Freitag), aber selbst ich in meiner Social-Media-Algorithmus-Blase habe in diesem Jahr bisher noch kaum was gesehen. Schade, Schokolade.

      Löschen

Kontaktformular

Name

E-Mail *

Nachricht *